Oktober 2001 - Februar 2002

 

Rund 700 km nordöstlich von Sydney, unscheinbar wie Fliegendreck auf der Landkarte, ragen ein paar scharf gezackte Inselsplitter aus dem tiefen Blau des Südpazifik. Sie sind Teil einer unterseeischen Hügelkette, gebildet aus der magmatischen Glutplatte eines „Hot Spots“, Zipfel eines ehemaligen Vulkankegels, der sich als gewaltiger Seeberg vor sechs bis sieben Millionen Jahren vom Meeresboden an die Oberfläche wälzte.

  • Lord Howe Island, NSW, Australia

 

Um Lord Howe Island fällt der Meeresgrund auf beinahe 2000 Meter Tiefe ab, ein Inselchen mitten im Nichts, zehn Kilometer lang, kaum mehr als zwei Kilometer breit, mit 353 „permanent residents“ und rund 10.000 Touristen pro Jahr, von denen nie mehr als 400 gleichzeitig auf der Insel weilen dürfen, um den Lebensraum nicht durch den Massenansturm neuzeitlicher Abenteurer zu gefährden.


Denn seit Beginn der Achtziger Jahre steht die Inselgruppe auf der Liste des Weltnaturerbes der UNESCO. Die Handvoll hingeworfener Felsbrocken im Umkreis tragen Namen wie Admirality Group, Mutton Bird Island, Sail Rock, Blackburn Island und Ball´s Pyramid - klangvolle Synonyme für das teils schroffe Antlitz eines einzigartigen Lebensraumes am Ende der Welt, dessen Klippen fast 900 Meter über den Meeresspiegel aufragen.

 

Die stete Erosion des Meeres hat in Millionen von Jahren nur rund ein Vierzigstel der ursprünglichen Landfläche zurückgelassen. Die Küstenlinie erscheint zerfurcht und angenagt, mit steilen Flanken, Überhängen und senkrechten Kliffs, unzugänglich und abweisend - ein Paradies für eine Vielzahl von Seevögeln, Tölpel, Fregattvögel und Seeschwalben, die hoch über der donnernden Brandung ihr Brutgeschäft verrichten.

Die winzige Insel bietet eine erstaunliche Vielfalt an Lebensräumen: Niederrungen, montane Regionen, Bergrücken und Täler sowie weite Areale, die dem Einfluss des Ozeans ausgesetzt sind. Die seichte Lagune mit Palmenstrand im mittleren Inselteil begrenzt im Westen das südlichste Korallenriff der Welt - mit einer einzigartigen Artzusammensetzung.


Den Status „Weltnaturerbe der Menschheit“ verdankt der Archipel denn auch neben seiner bizarren Schönheit der unvergleichlichen Tier- und Pflanzenwelt - und diese wiederum seiner abgeschiedenen Lage.Mitten im Nichts des pazifischen Ozeans hat sich ein ökologischer Mikrokosmos etabliert, der auf der Welt seinesgleichen sucht. Eine stattliche Zahl von Arten, sogenannten Endemiten, existiert nur hier und nirgendwo sonst.
Doch auch weit jenseits der Grenzen der Zivilisation ist die Welt längst nicht mehr in Ordnung.


Von einer Stabschreckenart, die erst kürzlich auf Lord Howe wiederentdeckt wurde und die seit über achtzig Jahren als ausgestorben galt, gibt es nach offiziellen Schätzungen weltweit noch rund 10 Exemplare. Die Ursprünge des handtellergroßen Insekts reichen in die Zeit der Dinosaurier zurück.
Was nach hundert Millionen Jahren evolutionärem Erfolg zum Niedergang des lebenden Fossils beitrug, lässt sich zumindest erahnen. Trotz Schutzmanagement und UNESCO-Status hat der Mensch den ohnehin knappen Lebensraum des Inselreichs in den rund zweihundert Jahren seit der ersten Besiedlung weiter beschnitten.


Eingeführte Säugetiere und Vögel wie Mäuse, Ratten, Eulen, Wildkatzen, Ziegen und früher auch Schweine – vordem auf der Insel unbekannt – entwickelten sich teilweise zu wahren „Pests“ und sind dabei, einheimische Faunenelemente an den Rand des Abgrunds zu drängen.Neun von fünfzehn Arten von Landvögeln, die bei der Entdeckung der Inselgruppe im Jahre 1788 beschrieben wurden, sind mittlerweile ausgestorben, sieben davon endemische Arten – aus dem globalen Genpool auf Nimmerwiedersehen ausgelöscht.


So spielt der Mensch wie so oft den schwer kalkulierbaren Faktor Zufall im Spiel der Evolution. Arten, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Inseln vor der australischen Küste nie oder doch nur sehr schwer erreicht hätten, gelangten unverhofft in ein Insel-Ökosystem, dessen Pufferkapazität hinsichtlich unerwarteter Konkurrenz begrenzt ist – und fanden ein reiches Feld zur Entfaltung.


Mit Sorge betrachten Naturschützer heute den Rückgang der Seevögelkolonien auf Lord Howe und die Veränderung der natürlichen Vegetation durch Rodung, Landwirtschaft und rund 175 eingeführte Pflanzenarten – darunter Unkräuter, die sich explosionsartig vermehren.
Es scheint notwendig, Reservate in einem Naturparadies zu fordern – ein Anachronismus an sich – um eine unersetzliche Artenvielfalt für die Nachwelt und die Inselgruppe als das zu erhalten, was sie einmal war: ein schier unerschöpfliches Experimentierfeld einer natürlich verlaufenden Evolution.

 

Unsere Dokumentation will ein Bild nachzeichnen, das der Natur in punkto Vielfältigkeit nicht nachsteht und der Schönheit einer einsamen Inselgruppe am Ende der Welt den gleichen Raum einräumt, wie den Fakten, die ihrer Bedrohung zugrunde liegen. Die Mechanismen und ökologischen Regeln entschlüsselt, die der Mensch, wider besseres Wissen, immer wieder gerne durchbricht, mit kaum in den Griff zu bekommenden Konsequenzen – nicht nur im Archipel der Lord Howe Inseln.

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