Ein Urpferd geht 3D - Vom Fossilfund zur (Re-) Animation

 

Urzeit aktuell. Ein 48 Millionen Jahre altes Urpferdchen kehrt zurück ans Tageslicht und wird zum Modellfall für paläontologische Hightech-Forschung. Vier Abschnitte umfasst die „Reanimation“: Präparation, Bau einer 3D-Kopie, Generierung des 3D-Datenpools und schließlich die virtuelle Neuberechnung der Lebenswerte im Computer. Der erste Schritt auf dem Weg zur exakten Rekonstruktion einer längst vergangenen Lebewelt.

 

Auf dem Rolltisch im Laborraum der Messeler Forschungsstation ruht fein säuberlich in graue Plastikplanen gehüllt, eine esstischgroße Gesteinsplatte. Vorsichtig löst Michael Ackermann, paläontologischer Präparator bei Senckenberg und verantwortlich für den Fund, die Klebstreifen der Verpackung. Nasse Tücher kommen zum Vorschein, die eine Rissbildung an den kostbaren Schätzen verhindern.
Darunter erhebt sich aus den Unebenheiten des schwarzglänzenden Gesteins das plastische Relief eines schlanken Schädels. Es ist ein Urpferdchen. Das Erste seit zehn Jahren. Die Vorderbeine liegen entspannt am Körper. Ganz so, als sei das Tier in dieser Haltung sanft entschlafen.
Millionen von Jahren war die Stute unter schweren schwarzen Gesteinsplatten verborgen. Kaum etwas an ihr erinnert an die hochgewachsenen Reitpferde von heute. Sie war unscheinbar klein, kaum so groß wie ein Terrier und an ihren Füssen wuchsen keine Hufe sondern Zehen. Einst lebte sie am Rand eines tropischen Maarsees, dessen Reste heute in der Grube Messel bei Darmstadt überliefert sind. Jetzt erwacht sie zu neuem Leben.
Wer hinter den Mauern des ehrwürdigen Senckenberg Museums in Frankfurt am Main verstaubte Exponate und schrullige Wissenschaftler erwartet, sieht sich enttäuscht. Nicht nur die Schausammlung glänzt in multimedialem Design, auch die aktuelle Urzeitforschung wird von Hightech-Gerätschaften regiert, darunter Spezialröntgen-Apparaturen und Mikro-Tomografen.
Fossile Knochen aus den Gesteinsschichten zu befreien ist künstlerisches Feinhandwerk, den Urzeitwesen neues Leben einzuhauchen, hingegen pure Technik. Das Team um Jörg Habersetzer, Sektionsleiter der Abteilung Messelforschung, bedient sich bei der Rekonstruktion der Messeler Fossilien des Modernsten, was Industrielabore heute zu bieten haben. Dabei sind sie auf potente Partner angewiesen, die manchmal aus völlig fachfremden Branchen stammen.
Die Konstruktionsingenieure von Audi staunen nicht schlecht als in ihren Hallen das exakte dreidimensionale Modell eines 48 Millionen Jahre alten Urpferdchens Einzug hält. Im Werk in Neckarsulm, wo sonst Greifroboter mit mattglänzenden Aluminiumchassis gehobener Mittelklassefahrzeuge, die auf feinste Haarrisse geprüft werden, nahezu spielerisch hantieren, versucht man der zierlichen Pferdedame aus der Urzeit wieder auf die Beine zu helfen – mittels überdimensionaler Scanner und brachialer Computerkraft.
Der Aufwand dient der Rekonstruktion eines Lebensraumes, von dem die Wissenschaft nur in Umrissen ein sprichwörtliches Bild besitzt. Vom freigelegten Fossil führt der Weg über ein maßstabsgetreues 3D-Model und die hochauflösende Tomografieabtastung bei Audi direkt in die Animationsrechner, die mit Vektoren- und Pixelpower den anatomisch begründeten Bewegungsablauf eines längst ausgestorbenen Organismus neu errechnen.
Die Ergebnisse sind vielversprechend und vor allem absolut realitätstreu. Aus reiner Wissenschaft entsteht mittels Hightech-Forschung das exakte Abbild einer virtuellen Realität. Urzeit aktuell. In nicht allzu ferner Zeit werden dem Urpferd andere Messelorganismen folgen und der interessierte Besucher kann sich im Senckenberg Museum in Frankfurt auf eine Reise begeben – an einen tropischen Maarsee, dessen Ufer Urpferdchen, Affen und Fledermäuse bevölkern, fast 50 Millionen Jahre vor unserer Zeit.